Ja und nochmals ja: Missbrauch – egal gegen wen, egal von wem – ist und bleibt immer ein schlimmer Skandal. Das gilt, immer und überall, also auch in Schulen, Familien, in Kirchen und Religionsgemeinschaften, in der Sport – und Kulturszene. Es gilt für jede Art von Missbrauch. Opferschutz muss immer und überall oberste Priorität haben. Hier darf es keinerlei Relativierung geben. Dieser Sachverhalt ist genauso richtig wie der, dass die Mathematik nicht falsch ist, weil es auch Menschen gibt, die nicht richtig rechnen können. Dieser Hinweis scheint mir wichtig zu sein im Zusammenhang mit dem Thema Religion. Wenn wir »Zigeuner am Rande des Universums« wären (Monod), wenn Hawking meint, alles sei erklärbar ohne einen »Gott« und wer das nicht so sieht, der lebe eben im »Gotteswahn« (Dawkins) – der sollte dann aber auch angeben (können), warum Menschsein sich lohnt, warum es einen Sinn hat, sich für Gutes einzusetzen, wenn eines Tages ohnehin »die Welt« vergeht. Wenn wir tatsächlich nicht mehr sind als »Stoffwechsel – und Energieaustauschaggregate« (Drewermann), dann ist alles, wirklich alles – die höchste sittliche Tat und das schändlichste Verbrechen – gleich-gültig. Diese Feststellung ist Ausdruck der Reflexion auf die Bedingung der Möglichkeit, dass Menschen Halt und Sicherheit nicht nur suchen, sondern existentiell brauchen. Es muss zu denken geben, wenn auf die Tatsache reflektiert wird, dass mehrheitlich Menschen im Leben (und nicht in der Theorie über das Leben!) einen Unterschied kennen zwischen Gut und Böse, dass sie Wahrheit (doch) mehr lieben als Irrtum und Unwahrheit, dass sie Liebe dem Hass vorziehen. Weil diese Reflexion Bezug nimmt auf die menschliche Wirklichkeit und nicht einen Wunschtraum äußert, entfällt der Verdacht der Projektion (Feuerbach). Nur wer sich diesem »Befund« überhaupt stellt- im Leben und im Denken darüber- dem erschließt sich etwas vom Phänomen Religion. Eine Relativierung von Unrecht wäre m. E. ebenso verhängnisvoll, als wenn Menschen durch interessengeleitete, einseitige Informationen über Religion ausschließlich deren Unwesen kennenlernen würden.
Rudolf Hubert, Schwerin