MfS gegen Lübke

Ein Anwalt der Illustrierten „Stern“ bat die DDR-Behörden 1985 um Unterstützung. Das belegen jetzt aufgetauchte Dokumente. Gesucht wurde Belastungsmaterial gegen den angeblichen KZ-Baumeister Heinrich Lübke. Ost-Berlin war gern behilflich.
Jetzt aufgetauchte Unterlagen beinhalten, dass G+J durchaus auf Materialien aus der DDR zurückgriff. Darunter ist ein Brief des Leiters der Stasi-Hauptabteilung IX an seinen Minister Erich Mielke vom 10. Oktober 1985. In dem Schreiben, das der Historiker Jochen Staadt in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) erstmals veröffentlichte, wird Mielke mitgeteilt: Der Hamburger G+J-Anwalt Heinrich Senfft habe sich im März 1985 im Zusammenhang mit dem Gerichtsverfahren gegen Enno von Loewenstern und den Verlag Axel Springer an den prominenten Ostberliner Anwalt Wolfgang Vogel „mit der Bitte um Unterstützung seiner anwaltschaftlichen Tätigkeit für das BRD-Magazin ,Stern’“ gewandt. Vor Gericht sollten die „Behauptungen in der ,Springer-Presse‘, im ,ZDF-Magazin‘ und anderen westlichen Medien“ widerlegt werden, „der ,Stern‘ habe wiederholt falsche bzw. von der DDR gefälschte Dokumente gegen den ehemaligen Bundespräsidenten Lübke ohne Prüfung verwandt und veröffentlicht“, heißt es in dem Schreiben weiter. Eine „Richtigstellung“ durch das Gericht läge auch im Interesse der DDR.

Das sah der Stasi-Chef auch so. Mit „Einverstanden, Mielke“ zeichnete der den Vorschlag seines Offiziers ab, der Generalstaatsanwalt und der Geheimdienst der DDR solle Anwalt Senfft Unterstützung leisten. Mielke ging es dabei weniger um die Reputation des „Sterns“, als vielmehr darum, die tatsächliche Rolle seines Ministeriums und der SED-Spitze an der Kampagne gegen Lübke, der 1972 starb, weiterhin zu verschleiern. Das SED-Regime hatte in den 60er-Jahren ziemlich unverblümt den Bundespräsidenten aufs Korn genommen. Unmittelbar vor seiner Wiederwahl am 1. Juli 1964 in West-Berlin ging man zum Angriff über und stellte zunächst Lübkes Rolle während der NS-Zeit infrage. Anfang Juli 1965 präsentierte SED-Chefpropagandist Albert Norden in Ost-Berlin ein „Braunbuch“ mit Namen von Personen des öffentlichen Lebens der Bundesrepublik, die tatsächlich oder angeblich zwischen 1933 und 1945 Verbrechen begangen hatten. Darunter auch Heinrich Lübke. Im Januar 1966 legte Norden auf einer internationalen Pressekonferenz eine Dokumentation vor. Seine klare Botschaft an die Journalisten: „Bundespräsident Lübke baute Hitlers Konzentrationslager.“ Nordens wichtigster Beleg war eine Akte mit elf Lichtpausen von Architekturzeichnungen; sie zeigten Wohnbaracken und trugen Heinrich Lübkes Unterschrift oder seine Paraphe. Auf dem Aktendeckel stand: „Vorentwurf zur Erstellung eines KZ-Lagers für 2.000 Gefangene der Fa. KALAG bei Schacht VI in Neu-Staßfurt.“

Unmittelbar nach der Präsentation ließ Norden das Material vom Ministerium für Staatssicherheit westdeutschen Zeitungen zuleiten, „die nicht zum Springer-Konzern“ gehören. Später versuchte die SED, den Programmchef des linksliberalen Rowohlt-Verlages, Fritz J. Raddatz, zu einer Veröffentlichung zu bewegen. Raddatz nahm davon Abstand, als sie ihm verweigerte, das Material von unabhängiger Seite prüfen zu lassen.

Seine Zweifel waren angebracht. Denn der Angriff der SED auf Lübke beruhte im Wesentlichen auf Manipulationen. Tatsächlich waren die Pausen echt, sie zeigten Standardbaracken, wie sie für Rüstungsfabriken, Zwangsarbeiterunterkünfte, aber auch KZs verwendet wurden. Es gab nur einen Haken: An den von Lübke unterzeichneten Pausen war nicht zu erkennen, für welchen Zweck die Baracken vorgesehen waren. Damit war der Vorwurf vom „KZ-Baumeister“ nicht zu konstruieren, das wusste auch die Stasi. Die Desinformationsspezialisten beschrifteten daher einen Aktendeckel so, dass er scheinbar eine Verbindung Lübkes zu KZ-Bauten herstellte. Beim Verteilen der Akte an die Journalisten unterlief allerdings ein Fehler: Die Kopie des Deckblattes wich im Schriftbild vom angeblichen Original ab, zudem fehlte die Unterschrift Lübkes. Wie ein Vermerk im SED-Archiv beweist, ärgerten sich die Urheber der Manipulation am meisten über den Fauxpas.

Für den „Stern“ gab es am 28. Januar 1968 offenbar keine Zweifel. Die Illustrierte veröffentlichte ein Gutachten des legendären US-Schriftexperten J. Howard Haring. Er hatte die Lübke-Unterschriften auf den Pausen von 1944 mit den aktuellen Paraphen des Bundespräsidenten verglichen und hielt sie für eindeutig von derselben Hand geschrieben. Der „Stern“ urteilte daraufhin: „Von Fälschung kann keine Rede sein.“ Im Gegensatz dazu stellte das Bundeskriminalamt Widersprüche in den Lübke-Unterlagen und „fachliche Mängel“ in Harings Gutachten fest. Es folgten giftige Leitartikel des Verlegers und langjährigen Chefredakteurs, Henri Nannen, da Lübke zu den Vorwürfen schwieg. Nannen bemitleidete den Bundespräsidenten für die „bedauernswerte Figur, die Sie in Ihrem Amt bieten“, und forderte ihn auf, zurückgetreten: Das sei der „erste Schritt zu einer Gesundung unseres Staates“.

1985, immerhin 13 Jahre nach Lübkes Tod, kam das Thema vor Gericht. Nach den Recherchen von Staadt wandte sich der Anwalt Heinrich Senfft an seinen Ost-Kollegen Wolfgang Vogel, weil er sich offenbar wegen des bevorstehenden Prozesses gegen Springer Sorgen machte. Senfft zeigte sich zwar siegesgewiss, regte aber an, zur Sicherheit die „zuständigen DDR-Stellen“ zu bitten, die Originale noch einmal richtig untersuchen zu dürfen. Vogel versprach, sich zu kümmern. Wenige Tage später teilte ihm Senfft laut Staadt mit, er sei von Henri Nannen beauftragt, aus allen Rohren gegen die anderen Medien zu schießen: mit Unterlassung, Gegendarstellung, Widerruf und Schadenersatzforderungen. Im August 1985 hätte Senfft der DDR-Seite geklagt, sie sollte endlich etwas tun, die Springer-Presse und andere „hörten nicht auf, die Zweifel an der Echtheit der Lübke-Unterschriften unter den Bauplänen immer wieder ins allgemeine Gedächtnis zu rufen, um der DDR und dem ‚Stern‘ eins auszuwischen“, heißt es in der FAZ.

Daraufhin reagierte das SED-Regime. Die Stasi prüfte Mitte September ihre Unterlagen und sortierte jene aus, die Manipulationsspuren aufwiesen. 15 Dokumente blieben übrig, die, so Staadt, der vorgeschlagene Mannheimer Sachverständige Lothar Michel in Ost-Berlin im Beisein eines Staatsanwaltes in der Sektion Kriminalistik der Humboldt-Universität prüfte. Trotz der genauen Vorauswahl äußerte Michel anschließend „Zweifel an der Echtheit einiger der Lübke-Dokumente“, schreibt Staadt. So hätte er in dem DDR-Material durchgehend die Paraphe „L“ gefunden, während im Bundesarchiv völlig durchgängig nur „Lü“ zu finden sei.