Freiheit und Verantwortung

Es ist schwer zu ertragen, in der Zeitung zu lesen, dass der Weihnachtsmarkt in Schwerin schließen muss aufgrund von massiven Anfeindungen bei der Umsetzung von gesellschaftlichen Vorgaben zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Heute Morgen hörte ich zudem in einem Kommentar des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Aussage, dass die Gesellschaft aufpassen müsse, Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen (es geht nicht um jene Minderheit, die aufgrund von Indikationen sich nicht impfen lassen können!) zu „Menschen zweiter Klasse“ abzustempeln. Gerne hätte ich den Autor gefragt, ob er, der die Freiheit so hochhält, wie ich es auch tue, den gleichen Maßstab anlegt bei der Verantwortung. Denn wenn das Gros der ‚schweren Fälle‘ auf den Intensivstationen nachweislich Menschen sind, die nicht geimpft sind, wenn das ursächlich zur Überlastung des Pflegepersonals führt und zu einer Verdrängung bei Intensivbehandlungen – dann würde ich sagen: Die Freiheit des Einzelnen hört dort auf, wo sie die Freiheit des Anderen einschränkt. Die Verschwörungsmythen machen ganz klare ‚Alternativen‘ auf: Entweder wir leben in demokratischen Verhältnissen – oder nicht. Entweder die Wissenschaft hat Recht-oder nicht. Entweder wir werden von ‚Eliten‘ manipuliert – oder nicht. Wer meint, er müsse das Grundrecht auf Unversehrtheit des eigenen Körpers schützen und sich deshalb nicht impfen lassen, wer meint, dass die Aussagen der Wissenschaft und der politischen Gremien allesamt deshalb falsch sind, weil sie nur dazu dienen, zu proben, ob und in welchem Ausmaß ein Volk unter Zwang gehalten werden kann, mit demjenigen wird man keinen Dialog führen können. Schon deshalb nicht, weil man in den Augen der ‚Wissenden‘ mit einer gegenteiligen Meinung selber schon wieder Opfer dieser Manipulation der so genannten ‚Eliten‘ geworden ist. Wer meint, alles sei nur dazu da, auszutesten, ob und in welchem Ausmaß Manipulation in großem Stil gelingt, der beraubt sich selber der Fähigkeit zum offenen Meinungsaustausch. Ein fairer und offener Dialog setzt nämlich die Fähigkeit und die Bereitschaft dazu voraus. Ebenso die Bereitschaft, neue Erkenntnisse zu zulassen und sich u. U. auch zu revidieren. Wer meint, „immer schon alles zu wissen und zu ‚durchschauen‘“, hat den Dialog beendet, bevor er begonnen hat. Denn was soll er demjenigen noch bringen, der (angeblich) schon alles weiß und kann? Eine offene Gesellschaft wird mit Leuten leben müssen, die sie aus Selbstüberschätzung (die natürlich auch wieder ihre Ursachen hat) ablehnen und bekämpfen. Darum ist es wichtig, nicht nur den Dialog zu führen, sondern dessen Grenzen auch klar zu benennen. Und es ist wichtig, dass die Gesellschaft die Interessen der Mehrheit wirksam umsetzt und wirksam schützt. Es gereicht jeder Gesellschaft zur Ehre, wenn Minderheiten nicht an den Rand gedrängt werden. Wenn aber eine Minderheit ihrerseits versucht, zu Hass und Hetze aufzustacheln, wenn Gewalt ‚gepredigt‘ und Freiheit mit Willkür verwechselt wird, dann ist Wachsamkeit geboten.
Rudolf Hubert