Erinnern und mahnen

In diesen Tagen beschäftigen sich die Medien mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren in unterschiedlicher Form und Weise. Und das ist gut so. Aber auch der dringende Hinweis sollte nicht fehlen, dass die Erinnerung die Mahnung nicht ausschließen darf, dass die Gefahr noch immer nicht gebannt ist, dass Ähnliches sich wiederholen kann. Ich vermisse angesichts der vielen Kriege in der Welt, dass der Kampf um die Erhaltung des Weltfriedens und einer friedliche Koexistenz aller unterschiedlichen Gesellschaftssysteme im Mittelpunkt der nationalen und internationalen Politik stehen. Als ich die Dokumentation im ARD »Kinder des Krieges« gesehen hatte, gingen mir meine persönlichen Erinnerungen wieder mal lange nicht aus dem Kopf. Im März 1945 wurde meine Pflegemutter beim Einmarsch der Roten Armee in einem kleinen Dorf in Hinterpommern erschossen. Sie war nicht wie alle anderen Einwohner geflüchtet. Mein zwölfjähriger Bruder und ich, damals sieben Jahre alt, blieben allein. Wir versteckten uns immer wieder in den Häusern, Ställen und Scheunen im Dorf vor den Soldaten bis wir nichts mehr zu essen fanden. Der Hunger trieb uns im Sommer bis vor die sowjetische Kommandantur. Hier bekamen wir dann jeden Tag eine Suppe und ein Stück hartes Brot. Eines Tages ließ man uns nicht mehr vom Hof. Wir wurden auf einen Lastwagen gesetzt, auf dem schon viele andere Kinder waren und brachte uns nach Köslin in das ehemalige Lazarett, das nun ein provisorisches Kinderheim war. Von hier wurden wir, circa 80 elternlose Kinder, per Güterzug nach Schönberg in Mecklenburg gebracht. Wir alle waren verlaust, verdreckt, hatten die Krätze und waren halb verhungert. Nun kümmerten sich viele Frauen um uns. Ich hatte das große Glück, dass mich eine liebevolle fürsorgliche Frau aus Selmsdorf mit nach Hause nahm. In ihrer Familie wuchs ich auf und wurde so erzogen, dass ich gelernt habe, was Solidarität ist. Und hier wurde auch meine grundsätzliche politische Position entwickelt. Die Forderung und der Wunsch: »Nie wieder Krieg«, begleiteten mich mein ganzes Leben und bestimmten mein Denken und Handeln. Ich war enttäuscht, dass der Versuch eine ganz neue Gesellschaft in der DDR aufzubauen, in der Frieden, Völkerfreundschaft und soziale Gerechtigkeit die Grundlage auch für eine bessere Welt ist, nicht funktioniert hat. Es ist noch ein sehr weiter Weg, bis die Ursachen von Kriegen beseitigt sind. So lange ich lebe, engagiere ich mich dort, wo es um den Frieden geht.