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Es gab einmal ...

Es gab einmal eine Fraktionsvorsitzende in der Bürgerschaft, die vertrat konsequent die Linie: Kein Verkauf mehr von kommunalen Immobilien und Grundstücken der Stadt, nur noch Verpachtung auf Erbbau. Ich habe sie dafür sehr geschätzt und fand meine Meinung vertreten, wenn sie in den Sitzungen betonte, dass es der Stadt sehr gut zu Gesicht steht, wenn sie auch noch eigenen Grund und Boden besitzt und wenn das kommunale Land nicht zum Spekulationsobjekt der Marktwirtschaft wird. Diese Einstellung gefiel mir. Sie gehörte auch nicht zu den glühenden Verfechtern für den Bau einer Fußgänger- und Fahrradbrücke über die Warnow. Zumindest hat sie das Projekt seinerzeit nicht befürwortet, auch, wenn der Bau, der noch heute bei der Bevölkerung sehr umstritten ist, durch die Bürgerschaft beschlossen wurde. Oft deckte sich ihre Einstellung zu Themen unserer Stadt mit meiner Meinung. Ihre Argumentationen in den Bürgerschaftssitzungen waren stets klar, nachvollziehbar, sachlich und begründet und dafür habe ich ihr auch später meine Stimme bei der Wahl zur Oberbürgermeisterin unserer Hanse- und Universitätsstadt gegeben – für ihre Einstellung und Meinung zu Dingen, die für unsere Stadt wichtig sind. Doch mit der Wahl zur Oberbürgermeisterin änderte sich ihre Einstellung zu einigen Dingen grundlegend. Vorher vertretene Meinungen und Standpunkte gingen über Bord. Zum Beispiel: - Die Bürgerschaft hat den Bau der Warnow-Brücke beschlossen, also sei es so! - Die Bürgerschaft hat dem Bau des Theaters am Bussebart zugestimmt, also wird es gebaut! Bitte nicht missverstehen, ich bin auch unbedingt für ein neues Theater, aber eine Nummer kleiner würde bestimmt besser zu uns passen. Womit man offenbar nicht gerechnet hatte, war die Verdoppelung der Kosten für dieses »Jahrhundertprojekt« und auch heute kann keiner so wirklich vorhersagen, wie hoch im Endeffekt die Kosten für das Theater sein werden. Aber das ist offenbar auch nicht so wichtig, denn man hat begonnen, Grundstücke und Gebäude aus kommunalem Bestand zu verkaufen, um die gestiegenen Kosten aufzufangen. Von einem aktuellen Verkauf von acht Grundstücken und Gebäuden war die Rede. Das entspricht zwar nicht der generellen Regelung der Stadt, kein kommunales Land zu veräußern, aber es ist auf jeden Fall der leichteste Weg, die Finanzen flüssig zu halten. In diesem Fall ist das ja vielleicht noch akzeptabel und überschaubar, wenn es nicht noch eine Reihe anderer Großprojekte gäbe, die ebenfalls in nächster Zeit umgesetzt werden sollen. Ich denke da an den Hochwasserschutz im Stadthafen, die Vorpommernbrücke und auch an den geplanten Bau der Warnowbrücke, die zwar zu einem großen Teil vom Land gefördert wird, aber dennoch bereits mit einer beträchtlichen Kostensteigerung aufwartet. Planungsbeginn: 36 Millionen im April 2022 sprach man bereits von 53,2 Millionen Euro, heute hält man sich eher bedeckt. Da stellt sich mir natürlich die Frage: Wenn wir also bereits beim Bau des ersten Großprojektes, (dem Theaterneubau), kommunale Immobilien und Grundstücke verkaufen müssen, wie gestaltet sich dann die Finanzierung der nächsten Großprojekte? Ist auch hier der Verkauf von Grund und Boden aus kommunaler Hand die absolute Lösung, um diese Projekte zu finanzieren? Tatsächlich aber frage ich mich, wieso ich mich eigentlich bei der Oberbürgermeisterwahl zwischen zwei Kandidaten entscheiden musste, wenn nach der Wahl ohnehin alles unverändert beim Alten bleibt und es weiter geht, wie bisher?

Anonym., Rostock (Name dem Verlag bekannt), 30.10.2023

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