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Sprichwörter enthalten viel Wahres

Das Zusammentreffen von Urlaubsende und Schulbeginn verleitet dazu, ein wenig über diesen Sachverhalt nachzudenken und zu suchen, ob nicht irgendwo etwas Kluges darüber gesagt wurde. Fündig wird man in der Sammlung deutscher Sprichwörter, die ja meist wichtige Beobachtungen unserer Vorfahren enthalten. So zum Beispiel das folgende: »An guten Schulen und guten Wegen erkennt man den guten Staat.« Die Bezeichnung Wege und nicht Straßen macht erst einmal den Bezug zu den guten alten Zeiten deutlich, hier bei uns wahrscheinlich zur Generation der Heiden von Kummerow. Das war, als die Schule noch barfußläufig erreichbar war, bevor einen die wohlige Wärme des Einklassenzimmers umfing und wo der Zeigestock noch als Mehrzweckgerät diente. Die Schüler hatten keinerlei Integrationsprobleme, denn man kannte sich. Die Unterrichtsinhalte waren übersichtlich und schlossen von vornherein intellektuelle Spitzfindigkeiten aus. Und was besonders wichtig war: Der Bezug zur realen Arbeitswelt war durch genügend reservierte Zeit gewährleistet. Erstaunlich, dass trotz der Beschaffenheit der damaligen Wege offenbar jeder sein Fahrziel erreichte, denn Absenkungen vom Kopfsteinpflaster hießen früher Sommerweg und erleichterten in der Regel wegen ihrer sanften Oberfläche sogar den Reisekomfort. Zusammenfassend lässt sich jedoch bezweifeln, ob das erwähnte Sprichwort als realistische Zustandsbeschreibung oder doch eher als Appell oder Wunschvorstellung für die Obrigkeit gedacht war. Es liegt nun sehr nahe, eine Beziehung des Sprichworts zur Gegenwart herzustellen. Unsere heutigen Schulen z.B. leiden nicht mehr an primitiver Übersichtlichkeit; sie bieten statt dessen eine unglaublich spannende Vielfalt an – Problemen. Der weitgehende Wegfall des Erziehungsauftrags brachte die Umgestaltung in eine Art Wohlfühllandschaft mit sich, der unablässig beklagte Lehrermangel ließ sich allerdings ohne weiteres mit dem Einsatz von Entertainern beheben und damit gar nicht erst irgendeinen Leistungsdruck aufkommen. Beständige Belehrungen über eine zeitgemäße schulische Arbeit speziell von Leuten, deren reine Lehre von der Kenntnis der tatsächlichen Situation nicht befleckt ist, weil sie noch nie eine Unterrichtsstunde selbst erteilt haben, aber deren Urteilsfähigkeit unerschütterlich verankert bleibt. Insbesondere achtet man sorgfätig darauf, ja nicht Konzepte und Erfahrungen anderer Länder zu übernehmen. Die Finnen waren einmal naiv genug, das zu tun und sind nun damit gestraft, als Beispiel herzuhalten. Nun noch ein Wort zu den guten Wegen. Wer in seinem Urlaub einmal durch unser schönes Land fährt, entweder auf den Wegen des Beton oder Stahl, dem wird viel geboten. Es kann sehr wohl die Überraschung geben, dass seine Reise ganz anders verläuft als geplant. Sie kann unter Umständen sehr viel länger dauern, weil sie nicht ganz so direkt zum Ziel führt, manchmal aber auch gar nicht. Immerhin lernt der Urlauber auf dieser Tour für Heimatfreunde dank der vielen Baustellen und Umleitungen Gegenden kennen, die in keinem Reiseführer stehen, aber doch von irgendeinem Mastermind ausgeklügelt wurden. Vielleicht wollte der aber auch nur, dass Mecklenburg-Vorpommern zukünftig nicht mehr so überlaufen ist. Fazit: Deutsche Sprichwörter enthalten viel Wahres, sie müssen aber nicht immer und überall stimmen.

Rainer Sabisch, Boizenburg, 01.09.2023

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