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Frieden?

Im Grunde ist es normal, sich für den Frieden einzusetzen – das tue ich auch als Reservist und bin froh, dass wir viele Jahre ohne Kriege zwischen den Nationen ohne Kriege erleben konnten, auch weil wir durch ein vereintes Europa näher zusammengerückt sind. Was ich aber nicht verstehe ist, wie man dadurch meint, Frieden zu schaffen, indem man ein Land, das gerade von seinem übermächtigen Nachbarn mit dem Ziel der Besetzung und Unterdrückung überfallen wurde, dessen Bevölkerung unermessliches Leid erfährt und das von seinen anderen Nachbarn neben humanitärer Hilfe darin unterstützt wird, sich des Angreifers zu erwehren diese Unterstützung zu entziehen und damit faktisch zu entwaffnen - so will es ja der Chef der Angreifer. Vielleicht haben wir, diese Nachbarn, einen Fehler gemacht gegen die vorherige Annektierung von Gebieten nicht entschlossener vorgegangen zu sein und damit – wir hatten es im vorigen Jahrhundert – den Aggressor zu weiteren Aktionen ermutigt haben. Seitdem hat es viele Verhandlungen gegeben, um diesen Krieg zu verhindern, zu beenden oder wenigstens die Folgen zu mindern, es wurden Abkommen getroffen, die kurze Zeit später wieder gebrochen wurden. Nun könnte man denken, der Krieg würde enden, wenn wir unsere Hilfen einstellen – die Angreifer jedoch ihren Nachschub an Waffen und Soldaten behalten. Ebenso könnte man einer überfallenen Frau raten, sich nicht zu wehren und den Umstehenden bloß nicht einzugreifen. Und dann? Frieden, und das habe ich begriffen, ist mehr als das Ende des Krieges – Frieden ist, wenn ein Volk in Freiheit und Selbstbestimmung leben kann, doch die Regierung der Angreifer hat deutlich gemacht, wie dieser „Frieden“ aussehen würde: Das angegriffene Volk, seine Identität, Kultur und Sprache sollen verschwinden, als angebliche „Nazis“ diskreditierte Regimegegner in Straflagern verschwinden. Und wäre damit dann Schluss? Das darf bezweifelt werden – schließlich hat der Machthaber gesagt, er könne in 48 Stunden in Warschau sein und das sicher nicht zu einem Staatsbesuch. Eine perfide Drohung angesichts der Geschichte, aber eine Aussage, die zu seinen selbst erklärten Plänen passt. Die Folge ist nun eine neue Welle der Aufrüstung, nachdem wir froh waren, abrüsten zu können. Nein, nicht die NATO hat sich nach Osten erweitert, sondern viele Länder, die unter der Sowjetunion gelitten haben, wollten Schutz vor einer neuen Bedrohung – und wir sehen, wie recht sie damit hatten; auch die viele jahrzehntelang neutralen Schweden und Finnen haben sich nun zu diesen Schritt genötigt gesehen. Übrigens – es sind immer noch Teile Finnlands russisch besetzt… Also, liebe Friedensfreunde – denkt nochmal nach, was Frieden wirklich ist. Auch für die Menschen in der Ukraine.

Edgard Fuss, Selpin, 16.08.2023

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