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Panzerlieferung an die Ukraine

Die derzeitige Argumentation der SPD und besonders die des Bundeskanzlers in Bezug auf tatsächliche oder mögliche militärische Unterstützung der Ukraine mit Panzern oder Flugzeugen mutet schon grotesk an und hat mehr den Charakter der Volksverdummung. Doch immerhin. Olaf Scholz legte 1977 sein Abitur ab, in der BRD und nicht in der DDR. Dieser Hinweis sei erlaubt, denn 1977 war in der BRD die Zeit, als Schülerinnen und Schüler der Oberstufen bei Prüfungen drei »individuelle Schwerpunkte« setzen konnten, die da waren: sprachlich-literarisch-künstlerisch, gesellschaftlich oder mathematisch-naturwissenschaftlich-technisch. Deutsche Geschichte mit dem Schwerpunk Faschismus fiel dabei zwangsläufig unter den Tisch, man wollte ja nicht schlafende Hunde wecken. Trotzdem wird der Bundeskanzler wahrscheinlich schon mal gehört haben, dass es in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts in Spanien einen Bürgerkrieg gab und das damals die Sowjetunion und das Deutsche Reich jeweils unterschiedliche spanische Parteien unterstützten. Nicht nur politisch-agitatorisch. Sondern ganz konkret mit Militärexperten, Panzern, Flugzeugen und anderem technischen Gerät. Auf deutscher Seite waren das zum Beispiel zwischen 20.000 und 25.000 Soldaten der Legion Condor mit Flugzeugen der Firmen Messerschmidt und Heinkel (Rostock) oder das 6. Panzerregiment der Reichswehr mit etwa 100 Panzern nebst Ausbildern. Sie wurden offiziell aus dem Heer entlassen und kehrten erst 1938 zu ihren Regimentern zurück. Die sowjetische Seite brachte bereits 1936 ihre Militärflugzeuge zerlegt per Schiff ins Land und eine spanische Panzerbrigade unter dem Kommando des sowjetischen Oberst Simon Kriwoschein (auch Oberst Mele) kämpfte vor Madrid gegen deutsche Panzer. 1945 nimmt er im Range eines General der Roten Armee an der Befreiung von Berlin teil. Die sowjetischen Flieger in Spanien kommandierte General Ernst Schacht, der wegen seiner Schweizer Abstammung wenig später den stalinschen Säuberungen zum Opfer fiel. Aber trotz ihres auch von Verlusten gekennzeichneten, aktiven militärischen Eingreifens mit Panzern, Flugzeugen, Gerätschaften und Personal auf unterschiedlichen Seiten sehen sich die Sowjetunion und das Deutsche Reich nicht als Kriegsparteien. Im Gegenteil. Wenige Jahre später werden beide Länder durch den so genannten Hitler-Stalin-Pakt sogar Partner bei der erneuten Teilung Polens. Was beweist, die politische Interessenlage der jeweiligen Unter­stützer in einem Konflikt ist entscheidend für die Bewertung als Kriegspartei und nicht der materielle Umfang einer Hilfe. Selbst wenn wie am Beispiel der Legion Condor deutsche Bomberpiloten sowjetische Panzer in Spanien bombardierten, war das für Stalin kein Kriegsgrund gegen Deutschland. Im Fall des Krieges in der Ukraine sollte der deutsche Bundeskanzler bei der Lieferung von Kriegsgerät auch solche Beispiele der jüngeren europäischen Geschichte auf dem Schirm haben. Deutschland wird nicht dadurch zur Kriegspartei, weil es vielleicht Panzer und Flugzeuge an die Ukraine liefert. Ob wir wirklich Kriegspartei werden, entscheidet ganz allein Wladimir Wladimirowitsch Putin. Putin als Mann der Macht versteht nur die Sprache der Faust. Wir sollten der Ukraine daher im Kampf gegen den Aggressor Russland das geben, was benötigt wird. Trotzdem sind Friedensgespräche, wie sie der frühere US-Außenminister Henry Kissinger (99) formuliert hat, ein guter Ansatzpunkt für die Beendigung der Kämpfe. Olaf Scholz hat offensichtlich nicht nur Defizite in der deutschen Geschichte, ihm fehlt auch diplomatisches Gespür für mit Kompromissen behaftete Lösungsansätze. Und Kompromisse sind notwendig, wenn man den Krieg in der Ukraine beenden will. 2009 war ich als Tourist auf der Krim und auch im Hafen von Sewastopol. Schon zu der Zeit war die staatliche russische Dominanz auf der damals noch ukrainischen Krim sichtbar. Länder verschwinden eben nicht per Dekret. Egal ob sie Sowjetunion heißen oder DDR.

Joachim Rudek, Rostock, 01.02.2023

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