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Gesellschaftliches Miteinander

Wie verhält man sich, wenn man unfreiwillig Zeuge eines Geschehens wird, das man als Laien-Psychologe selber nur sehr schwer einschätzen kann? Diese Frage stellten sich kürzlich meine Töchter, als sie einen jungen Mann in den Straßenbahngleisen sahen, der offenbar in großer seelischer Not war und sich nicht mehr unter Kontrolle hatte. Wenn man selber überfordert ist mit der Ausnahmesituation, darf man die Polizei anrufen, die mit ihrem geschulten Personal für Hilfe sorgt. Daran erinnerte sich meine Tochter und verständigte die Beamten. Leider hatte sie nicht das Gefühl, dass man sie am Telefon ernst nahm. Jeder kann sich gut vorstellen, dass es in einer Großstadt viele Aufgaben für die Polizei gibt und dass das Personal deshalb in Zeitnot ist. Trotzdem stellt sich die Frage, wie man sich verhalten soll, wenn man hilfsbedürftige Menschen sieht, die in Gefahr sind. Hat es überhaupt Sinn, Hilfe anzufordern? Eine Gesellschaft zeichnet sich doch gerade dadurch aus, dass man sich auch für die interessiert, die nicht mehr in der Lage sind, rational zu handeln. Ich würde mir wünschen, dass man feinfühlig reagiert, wenn man angefordert wird, weil ein Mensch sich nicht mehr selber helfen kann. Natürlich hoffe ich auch, dass mein Nachwuchs beim nächsten Mal, wenn er wieder Zeuge einer heiklen Situation wird, nicht einfach wegsieht.

Kerstin Schnegula, Rostock, 18.05.2020

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