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"Kunscht" am Bau

Die Hansestadt Greifswald wird immer mehr zum bedeutenden Kunsttempel in Meck/Pomm. Es gelingt renomierten Künstlern ständig, dem Stadtbild neue Highlights hinzuzufügen, sehr zur Erbauung der unzähligen Kunsttliebhaber und Experten landesweit und ganz zu schweigen von der einheimischen Bevölkerung. An Skulpturen, Windspielen und vielerlei anderen Werken können sich die modernen Künstler nach Belieben austoben. Ein besonders gelungenes Exemplar wurde vor einiger Zeit am hiesigen Polizeipalast installiert. Der Berliner Künstler P. Sander schuf dieses grandiose Werk und gab ihm den großartigen Titel: Unsicherheitsfaktor. Wer einmal in der glücklichen Lage ist, der Stadt einen Besuch abzustatten, sollte sich den Genuss dieses Kunstwerkes auf gar keinen Fall entgehen lassen! Es handelt sich dabei um einen circa fünf bis sechs Meter langen Balken, den der Künstler in mühevoller und akribischer Heimarbeit mit roter Farbe versehen hat . Selbiger wurde dann auf auf einem Gebäudevorsprung am besagten Polizeipräsidium installiert und schon ist er - Kunscht am Bau! Ist das nicht genial? Mich würde allerdings mehr der Ankaufpreis für dieses Werk interessieren , aber der ist bestimmt streng geheim. Egal - gekauft ist gekauft! Ich tue mich allerdings etwas schwer mit dem, was der Künstler damit sagen will. Der Balken soll die Arbeit der Polizei symbolisieren. Wenn er damit allerdings andeuten will, dass Holz arbeitet, bin ich mir nicht mehr so sicher, ob er dann noch die ihm zustehende Begeisterung erfährt! Man kann im Prinzip nur noch über den heutigen Kunstmarkt den Kopf schütteln. Es reicht schon, einen Balken rot anzupinseln und ihn als Kunstwerk zu verkaufen, auf dem Bildermarkt gibt es auch Werke, die sich ein normaler Mensch nicht mal in den Keller hängen würde! Experten dieser Branche werden mir jetzt entgegenschleudern, dass Kunst letztlich ja Geschmacksache sei. Richtig - Gott sei dank, aber bei vielen ist diese Kunstform schon zur Geschmacklosigkeit entartet und es wird ja letztendlich auch niemand dazu gezwungen, für Müll Geld auszugeben! Dem Künstler an sich will ich da gar keinen Vorwurf machen. Wenn er die Möglichkeit erhält, mit wenig Aufwand sein Konto aufzustocken, ist das ja legitim und - macht doch jeder! Wer sind aber die Leute, die für so was Geld ausgeben? Ich vermute mal ganz stark, dass es jene sind, deren eigene Konten in keiner Weise konfrontiert werden. Mein Gott, sind doch bloß Steuergelder. Dieser Balken war zudem Sieger einer deutschlandweiten Ausschreibung. Ich wage mir gar nicht vorzustellen, wie die Verlierer dieser Aktion ausgesehen haben.  Das Kind ist nun mal in den Brunnen gefallen - nicht mehr zu ändern und es bleibt nur zu hoffen, dass die Witterung nicht eines Tages den Balken dazu überredet, sich fallen zu lassen. Wenn dann zufällig unten jemand steht, der dieses einmalige Werk staunend bewundert, könnte es wirklich bleibenden Eindruck hinterlassen. Eine Frage hätte ich allerdings noch: Wenn ich jetzt, von dieser Aktion inspiriert, meinen Mülleimer rosa anpinsel und ihn vor's Haus stelle, um damit zu demonstrieren, dass ich mich von ganzem Herzen auch um meinen Müll kümmere, bin ich dann auch ein Künstler? Ich würde es auch ohne sattes Honorar machen.

Dieter Fender, Greifswald, 16.11.2022

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