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Gedanken zum 75. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus

Die Zerschlagung der faschistischen Gewaltherrschaft und das Ende des zweiten Weltkrieges jähren sich in diesem Jahr zum 75. Mal. Der 8. Mai markiert den Sieg über das menschenverachtende Regimes des Hitlerfaschismus. Es waren die Angehörigen der Streitkräfte der Alliierten, vor allem die Angehörigen der sowjetischen Armee, die die Hauptlast des Krieges trugen und das Regime auch militärisch zerschlugen. Es waren die Partisanen und Widerstandskämpfer in allen vom deutschen Faschismus okkupierten Ländern, die ihr Leben einsetzten für die Freiheit ihrer Heimat. Teil dieser Antihitlerkoalition waren auch deutsche Antifaschisten, die illegal in Deutschland, in den Reihen der Partisanen oder gemeinsam mit den alliierten Streitkräften für die Befreiung ihres eigenen Landes kämpften. Durch die Schuld des faschistischen Deutschland kamen nahezu 60 Millionen Menschen ums Leben. Mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. und 9. Mai 1945 wurde der historisch einzigartige Völkermord der Nazis an den Juden und den Völkern beendet. Der Zweite Weltkrieg war zugleich ein Vernichtungskrieg, der sich gegen die Nachbarländer Deutschlands, besonders aber gegen die Völker der Sowjetunion richtete, die den größten Blutzoll zahlen mussten. Wir gedenken am heutigen Tage aller Opfer des Faschismus und des zweiten Weltkrieges. Wir gedenken der sechs Millionen ermordeter Juden, der Sinti und Roma, der in den Konzentrationslagern und Zuchthäusern ermordeten und gequälten Kommunisten, Sozialdemokraten, Christen und anderen Nazigegnern. Sie alle mussten unermessliches Leid ertragen. Folter, Gefangenschaft, Verwundungen, Zwangsarbeit, Hunger und Not, Flucht und Vertreibung. Richard von Weizsäcker machte in seiner Rede vor dem Bundestag in Bonn, anlässlich einer Gedenkveranstaltung zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges deutlich, dass der 8. Mai ein Tag der Befreiung war, der Befreiung von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, er sei aber auch gleichzeitig ein Tag der Erinnerung! Auch wenn für einige Menschen mit dem 8. Mai neues Leid begann, dürfen die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit nicht im Ende des Krieges gesucht werden. Der Schwur der befreiten Häftlinge von Buchenwald: „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“ wurde bald durch „Nie wieder darf ein Krieg von deutschem Boden ausgehen!“ ergänzt. Heute stellen wir mahnend fest, dass dieser Schwur zunehmend verblasst, dass deutsches Militär im Ausland und faschistisches, rechtsextremistisches Gedankengut fast wieder salonfähig sind. Wenn es gilt, deutsche Interessen am Zugang zu Energieträgern bzw. Rohstoffen, oder zu Märkten und weitergehende geopolitische Ziele zu verfolgen, ist es offenbar wieder opportun geworden, unter dem Vorwand der Demokratisierung und der Terrorismusbekämpfung, aber auch unter Vernachlässigung wesentlicher grundgesetzlicher Schranken das Militär zu bemühen. Das viel zitierte Wort von Bertold Brecht: «Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch!» hat nichts an Aktualität eingebüßt. Dies wird uns leider viel zu oft vor Augen geführt durch Anschläge, Bedrohungen und Einschüchterungsversuche gegenüber Personen des öffentlichen Lebens, Flüchtlingen und alle Menschen, die anders sind als es sich Rechtsradikale, Neo-Faschisten, Rassisten, Homophobe, Chauvinisten offenbar wünschen. Leider sind diese Tendenzen in Städten wie z. B. Güstrow der lebendige Beweis. Jede und Jeder sollte und muss sich fragen, was er bisher persönlich gegen Neonazis, den alltäglichen Rassismus, den hoffähig gewordenen Generalverdacht gegen Minderheiten und die regelmäßig wiederholten falschen Wahrheiten unternommen hat. Wir dürfen im Kampf für Frieden, Demokratie und Toleranz nicht nachlassen. Gegenüber jeglichen Erscheinungen von Rechtsradikalismus, Neo-Faschismus, Rassismus aber darf es keinerlei Toleranz geben. In diesem Sinne gedenken wir anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung der Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft. Nehmen wir diesen Jahrestag zum Anlass, um uns dafür einzusetzen, dass dieser Gedenktag genau wie in Berlin zu einem gesetzlichen Feiertag erklärt wird.

Michael Noetzel, Bad Doberan, 07.05.2020

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