Leserbriefe lesen

Ein Stralsunder Schicksal

Wir sind Menschen, die in ihrem Leben übermenschliches Leid erfahren haben, wie z.B. Gisela Schönow, geb. 1924 in Niepars, zu großem Dank verpflichtet, dass sie bereit waren, die Nachwelt an ihrem Schicksal teilhaben zu lassen als Mahnung, dass solches nie wieder passieren möge. Als 90-Jährige hat Gisela Hawkey 2014 ihrem Patensohn, dem Stralsunder Ingo Küster, bei einem Besuch der Stadt ihre Lebensgeschichte nochmals komplett erzählt, und er hat diese 2016 in seinem Buch „Im Zweifel fürs Leben – Die Geschichte der Gisela Schönow, Höhen und Tiefen eines menschlichen Schicksals“ veröffentlicht. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin Barbara Engels stellte er es 85 Interessenten der Seniorenakademie 55 Plus vor. Gisela Hawkey hat Zeit ihres Lebens gelitten, sich am Tod ihrer gesamten Familie am 01.Mai 1945 in Niepars schuldig zu fühlen. Sie arbeitete als Pharmaziehelferin in der Stralsunder Simson-Apotheke, und nach dem Bombenangriff am 06. Oktober 1944 auf die Stadt (auch mit der Zerstörung des Apothekengebäudes) hat der Chef der Apotheke seine Mitarbeiter „für den Fall aller Fälle“ mit Zyankali versorgt, das Gisela ihrer Mutter anvertraut hat. Damit hat die Mutter an besagtem 1. Mai, als die sowjetischen Truppen auch in Niepars einmarschierten, aus Angst vor der Ungewissheit die gesamte Familie ausgelöscht. Giselas Glas zerbrach, und nachdem sie die Folgen dieses Drama erleben musste, dass die Familie mit „ihrem“ Zyankali starb, half sie mit Schlaftabletten nach. Der georgische Offizier und Arzt mit Vornamen Temo (aus Tiflis) fand sie noch atmend und rettete ihr das Leben. Ihr Überleben empfand sie als eine Fügung des Schicksals. Dennoch blieb das Schuldgefühl. Gisela Hawkey: „Ich frage mich immer wieder, ob dieser Gifttod der bessere war als jener durch eine nicht auszuschließende Gewalttat oder einer mit noch schlimmeren Folgen“. Der gegenseitigen Suche (Gisela-Temo) nach dem Krieg blieb lange der Erfolg versagt, erst nach der Wende konnten sich beide in Dresden treffen. Und so führte sie ihr Weg 1951 nach England, wo sie in Wadebrigde in Cornwall den Tankstellenbesitzer Hamilton Hawkey kennenlernte, diesen noch im November des gleichen Jahres heiratete, ihm zwei Söhne schenkte und ihn durch einen tragischen Motorradunfall wieder verlor. Sie lebte bis zu ihrem Lebensende in West-Hill, ihre Söhne sind noch heute in England. Die Vorstellung der Biografie der Gisela Hawkey, geb. Schönow, hat bei allen Anwesenden sehr stark emotional gewirkt, denn es war eine Lebensgeschichte aus unserem unmittelbaren Umfeld. Für diesen Vortrag, der mit entsprechenden Fotos unterlegt war, spendeten alle ein ganz herzliches Dankeschön. Das Buch aus dem Druck- und Verlagshaus Kruse kann jederzeit in der Buchhandlung erworben werden.

Wolfgang Mengel, Stralsund, 26.02.2020

Hier können Sie Ihre Leserbriefe online aufgeben

Bitte beachten Sie, dass wir uns das Recht vorbehalten, im Falle des Abdruckens in der Zeitung, Textpassagen zu kürzen oder nachträglich zu ändern.