Leserbriefe lesen

Wer bist Du eigentlich?

Schnippst vorm Einsteigen ins Auto noch schnell Deine Kippe auf die Straße, ob kleine Tiere daran verenden, kümmert Dich nicht. Du lässt den Motor an und jagst, damit es auch jeder mitbekommt mit heulendem Motor durch die 30er-Zone am Pflegeheim. Das Auto vor Dir hält sich ans Tempolimit – Du fährst so dicht auf, dass dessen älterer Fahrer Dein Nummernschild im Rückspiegel nicht mehr zu sehen ist. Ob der Fahrer vor Dir Panik kriegen und einen Unfall verursachen könnte – ist das jetzt Dein Problem? Am Supermarkt stellt Du Dich gleich ganz vorne auf den ersten Parkplatz, schräg dass auch der zweite Platz verstellt ist. Soll sich der Gehbehinderte doch einen anderen Parkplatz suchen! Die Schlange an der Kasse ist viel zu lang – da ist es für Dich doch kein Problem, Dich mit „Ich hab's eilig!“ durchzudrängeln. Die alte Frau mit dem Rollator leistet ja keinen Widerstand. Und so gehen die Jahre ins Land – und Du bist Dir immer selbst der Nächste, denn wenn jeder an sich denkt, ist ja an jeden gedacht. Doch auch Du wirst älter, langsamer, kannst nicht mehr so gut laufen; auch das Rauchen fordert seinen Tribut. Deine Reaktion lässt nach und Du fährst nicht mehr so schnell Auto. Der Rowdy, der hinter Dir drängelt, macht Dir Angst. Schließlich überholt er halsbrecherisch – nur um an der nächsten Ampel vor Dir zu stehen und er nutzt die Zeit, um noch schnell seinen Aschenbecher auf die Straße zu entleeren. Was kümmert ihn, was mit den Kippen passiert? Du siehst noch, wie er am Supermarkt vor Dir noch schnell den Behindertenparkplatz besetzt. Wie Du Dich mit Deinem Rollator auf einem normalbreiten Parkplatz abmühen und den weit längeren Weg zum Markt zurücklegst – ist das jetzt sein Problem? Mit Deinen Einkäufen im Körbchen am Rollator wartest Du an der Kasse; das Stehen fällt Dir schwer, als Du plötzlich angerempelt wirst, denn da hat es jemand sehr eilig und drängelt sich rücksichtslos vorbei an die Kasse; er hat es schließlich eilig. Froh wieder daheim zu sein, steigst Du aus Deinem Auto und mit Deinen Einkäufen im kleinen Körbchen am Rollator überquerst Du gerade die Straße am Pflegeheim, als das Auto mit laut heulendem Motor dicht an Dir vorbei durch die Tempo-30-Zone schießt. Nur kurz siehst Du das Gesicht des Fahrers – tatsächlich aber schaust Du in den Spiegel…

Edgard Fuss, Selpin, 25.03.2025

Hier können Sie Ihre Leserbriefe online aufgeben

Bitte beachten Sie, dass wir uns das Recht vorbehalten, im Falle des Abdruckens in der Zeitung, Textpassagen zu kürzen oder nachträglich zu ändern.