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Weiße Indianer

Wenn ich den Anschluss („Wiedervereinigung“) und seine Folgen betrachte, drängen sich mir Vergleiche mit den Verhältnissen im Amerika des späten 15. Jahrhunderts auf. Doch dazu später. Als es nach der Grenzöffnung noch zwei verschiedene Währungen gab, begann der Wettlauf der Westdeutschen um Grundstücke und Immobilien im Osten -die größte Schnäppchenjagd aller Zeiten! Die „Währungsunion“ halbierte dann den Ostdeutschen ihr Vermögen, so dass sie als künftige „Investoren“ überwiegend ausfielen. Nach dem 3. Oktober 1990 begann die „Treuhand“, mit der Zerschlagung der letzten Reste des „Volkseigentums“, was tausenden Menschen die Arbeit nahm. Das Programm „Aufbau Ost“, überwiegend finanziert durch den auch von Ostdeutschen zu zahlenden „Solidaritätszuschlag“, sanierte zunächst Straßen, um die Belieferung der aus dem Boden schießenden Supermärkte zu gewährleisten. Folgen: Schließung kleiner Geschäfte und wirtschaftlicher Verfall von Innenstädten. Für lukrative Gehaltszuschläge („Buschgeld“) wurden altbundesdeutsche Helfer etabliert, um vor allem die Besetzung von Schaltzentralen der Macht in ostdeutschen Ämtern und Medien zu unterstützen. Das Arbeitsamt wurde zur „Bundesanstalt“ und hatte vor allem dafür zu sorgen, dass Erwerbslose durch „Fortbildungs- und Auffangmaßnahmen“ aus der Arbeitslosenstatistik verschwanden – zum Teil unter unwürdigen Bedingungen. Naturwissenschaftliche Bildung an Schulen – Voraussetzung für fachübergreifend kritisches Denken – wurde stark reduziert. Dass Inflation unvermeidlich sei, wurde den Menschen so lange eingehämmert, bis sie es geglaubten und der neuerlichen Währungsumstellung (Euro) kaum skeptisch gegenüberstanden. Dass letztlich 35 Jahre lang gegen Artikel 1 (Würde) und 3 (Gleichheit) des Grundgesetzes verstoßen wurde, veranlasste nicht einmal oppositionelle Juristen, dagegen zu klagen, und Kritiker wurden zu „Jammerossis“ gestempelt. Es lebe das Oktoberfest! Somit kann ich durchaus Parallelen zur amerikanischen Geschichte entdecken, nur dass die „Konquistadoren“ diesmal von West nach Ost segelten, die „Indianer“ weiß waren, teilweise dieselbe Sprache sprachen und sich größtenteils freiwillig unterwarfen.

Wolfgang Kniep, Leisterförde, 05.10.2025

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