Zur Lesermeinung „Ticken anders“

Ich gebe zu als gebürtige „Wessi“, dass ich den Spruch „Die im Osten müssen erst mal Arbeiten lernen“ auch kenne.
Selbst vor meinem Umzug nach Vorpommern habe ich diese Meinung nie geteilt. Obwohl wir keine „Ostverwandtschaft“ oder Bekannte in Ostdeutschland hatten, war ich immer überzeugt, dass jede/jeder in beiden Teilen Deutschlands das ihnen individuell Mögliche tun.
Nach gut einem dreiviertel Jahr als Neubewohnerin Vorpommerns sehe ich jeden Tag Kameradschaft, Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit, wie ich sie mir an meinem alten Wohnsitz im Westen oft gewünscht hätte. Ich sehe Fleiß und Strebsamkeit und natürlich auch bei manchem Mitbürger ein Stück Resignation wohl aus unterschiedlichen Gründen, doch die gab und gibt es im Westen des Landes auch.
Ergo: Ich stimme allem Gesagten von Herrn Elsholt zu, mit einer Ausnahme: „Im anderen Teil Deutschlands konnte alles mit Geld erworben werden.“ Ja, wenn welches vorhanden war. Ich bin im Württemberg der 60er Jahre aufgewachsen. In einem einfachen Arbeiter- und Bauernhaushalt. Wir hatten einen Schrebergarten, Kaninchenzucht, Hühner, ein oder zwei Schweine, ein einfaches Häuschen mit Plumsklo und Ofenheizung und genug zu essen, wofür ich grundsätzlich heute noch dankbar bin. Mein Vater schmiedete Zäune, werkelte Spielzeug und meine Mutter nähte und machte Heimarbeit, um die Familienkasse aufzubessern. Unterschiede zu Ost und West? Ich denke, wenn wir uns in diesen Zeiten begegnet wären, hätten wir festgestellt, dass eventuell Vermögende in West und Ost „anders ticken“.
In diesem Sinne auf ein weiterhin gutes, fortschreitendes Miteinander.