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< Zurück zur ÜbersichtSo einfach ist es wirklich nicht
Auch wenn ich schon mehrfach in Israel war, erlaube ich mir eigentlich nicht, etwas „Kompetentes“ zur Situation dort zu sagen. Nein, vieles kann ich einfach nicht beurteilen. Aber so einfach, wie es hier im Brief „Ursache und Wirkung“ beschrieben wird, ist es nun wirklich nicht. Allein die Bezeichnung “Führer der Juden“ lässt fragen, wie groß die Kenntnis in diesen Fragen wirklich ist. Genauso wie es nicht „die Juden“ und „die Muslime“ gibt, sondern auch hier gibt es sehr verschiedene Gruppierungen, und nicht immer sind diejenigen am größten, die in den Medien am stärksten hervortreten. „Es sollte das Unrecht sühnen, dass den Juden in vielen Ländern, besonders aber in Nazi-Deutschland, angetan wurde.“ Sechs Millionen Menschen, die unter unwürdigsten Bedingungen einfach vernichtet wurden, und eigentlich war dabei an alle gedacht, alle Juden sollten ausgerottet werden, das war das Ziel. Ein solches Unrecht sollte jeden für einen Moment verstummen lassen. Ein solches Unrecht kann niemals gesühnt werden. Wohl aber ist es eigentlich eine Selbstverständlichkeit, den verbleibenden Juden, gerade nach dem Ereignis des Holocaust, einen Ort zu geben, an dem sie auf Dauer sicher und menschenwürdig leben können. Jeder Hinweis fehlt im Brief auch darauf, dass es die zionistische Bewegung längst gab. Auch leider der Hinweis, dass dieses Land Israel heute nicht mehr existieren würde, gäbe es nicht internationale militärische Hilfe, übrigens in den Anfangsjahren auch von der Sowjetunion. Der 7. Oktober 2023 richtete sich nicht gezielt gegen die Siedlungspolitik, sondern war ausdrücklich der Beginn eines Vernichtungsschlags. Wehrlose Menschen wurden wahllos und auf brutalste ermordet, geschändet, verstümmelt und als Geiseln gefangen genommen. Wer mag, kann vieles nachlesen im Buch „Feuer“ von Ron Leshem. Und diese Drohung hat es bis in die Gegenwart immer gegeben. Wie setzt man sich zur Wehr gegen ein inzwischen stark gewordenes Terrorsystem, das nicht davor zurückschreckt, sich unter Schulen, Kindergärten oder Krankenhäusern zu verbarrikadieren und so das eigene Volk in Geiselhaft zu nehmen? Eine Zwei-Staaten-Politik in einem so kleinen Gebiet, Israel ist etwa so groß wie das Bundeland Hessen, war sicher ursprünglich beabsichtigt, setzt aber in dieser Kleinteiligkeit ein gegenseitiges Vertrauen voraus, das es offenbar nie gegeben hat. Nein, ich bin kein Befürworter der israelischen Siedlungspolitik. Ich verteidige nicht alle Maßnahmen dieses Staates. Eher bin ich ratlos, und ich bleibe auch dabei, dass meine Unkenntnis groß ist. Aber wenn ich lese “was Israel gegenwärtig praktiziert, hat mit Verteidigung nichts mehr zu tun“, dann ärgere ich mich sehr über so viel Anmaßung.
Wolfgang Hubert, Scheyern, 24.09.2024