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Zeitenwende-Erfahrungen

Wenn dein Leben 88 Jahre währt, hast du Zeiten und Situationen erlebt, die nicht jeder erfährt. In drei unterschiedlichen Gesellschaftssystemen gelebt, die deine Lebenseinstellung wesentlich geprägt. Die Kindheit im Faschismus verbracht, bedeutet für mich: Zweiter Weltkrieg, Bomben, Vater gefallen, Entbehrungen und oft Ängste bei Nacht. Die Nachkriegszeit + 40 Jahre hat man sich im Sozialismus bewegt, die haben vorrangig den Grundstein für mein Leben gelegt. Bedeutet für mich: Schule, Lehre, Studium und Berufserfahrung alleinerziehend mit drei Kindern erfolgreich bestritten. Als Arbeiterkind nie unter finanziellen Sorgen gelitten. 1989, mit 55 Jahren, war man für neue Aufgaben bereit. Doch es begann eine andere Zeit. Hoffnungen wurden schnell genommen. Wir waren im Kapitalismus angekommen. Bedeutet für mich: arbeitslos – Bildung, Lebensleistungen und -erfahrungen waren nichts mehr wert. Damals waren Geldgierige und Wendehälse begehrt. Man wurde ohne Widerrede in den Vorruhestand gedrängt. Der Lebens- und Schaffenswille eingeengt. Heut wird uns vermittelt, eine Zeitenwende ist zu erwarten. Doch wie und wann wollen wir damit starten, wenn wir wieder mit einem Bein an gleicher Grenze im Krieg stehen? Wie täglich in allen Medien zu hören und zu sehen. Meine Sorge: Wie wird die Zukunft meiner Kinder, Enkel und Urenkel sein, holt sie vielleicht mein Lebensweg wieder ein? Das gilt es mit aller Kraft zu verhindern! Für sie und uns alle muss unbedingt »diese Zeitenwende« gelingen, um endlich weltweit ohne Kriege – Mensch, Natur und Wirtschaft durch Gerechtigkeit in Einklang zu bringen.

Gerda Bruhn, Rostock, 06.06.2023

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